Abre los ojos
Spanien 1997 · 117min. · FSK:ab16 Regie: Alejandro Amenábar Drehbuch: Alejandro Amenábar, Mateo Gil Kamera: Hans Burman Darsteller: Eduardo Noriega, Penélope Cruz, Chete Lera, Fele Martínezu.a. | ![]() | |
Penélope Cruz friert |
Das Leben als Alptraum
Der erst knapp 30jährige Spanier Alejandro Amenábar ist der Regisseur der Stunde. Manche halten ihn bereits für den Lars von Trier des kommenden Jahrzehnts, so eigen sind seine bisher drei Filme, so zwingend, so reif und intelligent.
Abre los ojos, der jetzt unter dem Titel Open Your Eyes noch mal ins deutsche Kino kommt, nachdem der 1997 gedrehte Film vor vier Jahren im Rahmen der Berlinale bereits zu sehen war, ist Amenábars zweiter Film. Sein Debüt, Tesis, entstanden 1996, ist ein Psychothriller rund um Snuff-Movies und Splatter-Filme, in dem eine Studentin durch die Hölle unfaßbarer Horrorfantasien gehen muss.
Seinen zweiten Start verdankt Open Your Eyes der Premiere von Vanilla Sky, Cameron Crowes neuem Film, der genaugenommen nur ein Remake von Open Your Eyes ist. Penélope Cruz ist in beiden Filmen in der gleichen Rolle zu sehen, und schon das Interesse an der Entwicklung der jungen Darstellerin, einer der Shooting Stars der letzten Jahre, ist Grund genug, beide Filme miteinander zu vergleichen.
Während Cruz an der Seite ihres neuen Lebensgefährten Tom Cruise selbstbewusst und tougher, wohl auch um ein paar Kilo leichter und mit trainiertem Muskelbody als um die 30jährige »normale Frau von heute« erscheint, ist sie bei Amenábar ein junges Mädchen, unsicher, zugleich ätherischer und sinnlicher.
Diese Differenz liegt nicht nur an Wandel und Älterwerden einer Schauspielerin, sondern hat Methode. Denn wo Crowe ein intelligenter Essay über Popkultur, über das, was heute modernes Leben ausmacht – inklusive der Schwierigkeiten mit der eigenen Identität –, gelungen ist, wo er die Angst des älter werdenden Mannes vor der festen Bindung, das »Peter Pan-Syndrom« verhandelt, und nebenbei darüber nachdenkt, was Tom Cruise zu einem Filmhelden macht, da setzt sein europäisches Vorbild ganz andere Schwerpunkte.
Virtual Nightmare hieß dieser eindringliche, spannende Film ursprünglich auf englisch, und das führt auf die richtige Spur. Verblasste blaugraue Farben setzen von Beginn an einen anderen Akzent als das Gelbrot des Vanillehimmels. César heißt der von Eduardo Noriega gespielte Held, und vielleicht deutet schon dieser Name auf den Größenwahn, der bald seine Hauptfigur befallen wird: Der wohlhabende junge Mann ist ein Frauenheld. Nuria, die, mit der er gerade liiert ist, geht ihm schon auf die Nerven, da wird er zum ersten Mal in seinem Leben von einem anderen Menschen wirklich berührt: Sofia. Nachdem sie beide eine keusche Nacht miteinander verbringen, wird Césars Gesicht bei einem Unfall entstellt, an dem Nuria Schuld trägt. Jetzt kann er sein Gesicht nicht mehr ertragen, zieht sich zunehmend in die Schattenwelt des Inneren zurück, zugleich versucht er die Beziehung zu Sofia aufrechtzuerhalten, deren Blicke auf sein neues Gesicht er doch nicht erträgt. Verschachtelt ist das alles mit einem zweiten Erzählstrang, der zu späterer – oder anderer Zeit angesiedelt wird: Ein väterlicher Psychologe verhört César, der sein Gesicht hinter einer Maske verbirgt. Vielleicht trägt er selbst Schuld an dem Unfall, vielleicht, so wird nahegelegt, hat er auch beide Frauen ermordet?
Während Crowe – dies ist eine der wesentlichen Veränderungen des Plots in Vanilla Sky – Sofia eine gleichberechtigte, von Cameron Diaz gespielte Konkurrentin zur Seite stellt, fehlt hier noch dieser Kontrapunkt. Unser und Césars Blick konzentriert sich ganz auf Sofia, die dadurch einerseits jedes Gefühl besetzt und einem auf merkwürdige Weise doch immer wieder entschwindet, erst recht zum Traumgeschöpf wird.
Zugleich betont Amenábar das Doppelgänger-Motiv, das in der Spaltung zwischen normalem Gesicht und hässlicher, unter einer Maske verborgener Fratze aufscheint. So stark, dass sein Film vor allem wie die moderne Fassung von Motiven der Schwarzen Romantik wirkt, diese weiterentwickelnd, wie ihr verhaftet: »Dr.Jekyll und Mr.Hyde«, »Das Phantom der Oper«, »Die Schöne und das Biest«.
Im Zentrum steht so das Doppelgesicht der Realität, stehen falsche, vorgetäuschte Gefühle. Rollenspiele. Open Your Eyes, diesen Titel, der auch eine Aufforderung ist, an Zuschauer wie Hauptfigur, kann man auch ironisch lesen, als bitteren Witz über die umfassende Blindheit von César. Mehr und mehr löst sich alles auf, doch Open Your Eyes ist beklemmender, ist mehr Fight Club, wo Vanilla Sky mehr The Game und Matrix ist.
Die Lücken im Gehirn sind das entscheidende, auch die, die die Begegnung mit der Frau seines Lebens bei einem Mann schlägt, und damit nicht nur sein Gesicht verändert.
Vielleicht ist aber alles wirklich nur ein Traum. Zweimal im Film sieht man den Eingang eines Parkhauses aufgehen. Es ist eine Doppelgarage, und wenn sich die beiden Tore parallel öffnen und César ist leere Madrid hinausspucken, sieht es aus, wie zwei Augenklappen.
Rüdiger Suchsland
- Kurzbeschreibung und Kinoprogramm München
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